erschienen im Jahr 2019 im Carl Hanser Verlag
Was heißt’n das eigentlich, wo die Flusskrebse singen? … Das heißt bloß, weit draußen, wo die Tiere noch wild sind und sich benehmen wie Tiere. (S. 143)
Es gibt Bücher, die mich noch lange nach dem Beenden beschäftigen und die ich sofort noch einmal lesen möchte, um auch wirklich jeden Zwischenton zu erfassen. Dieses gehört definitiv dazu. Das lag größtenteils an der Thematik: ein siebenjähriges Mädchen, Kya, wird von der Mutter bei seinem gewalttätigen, alkoholkranken Vater zurückgelassen, welcher das Kind jedoch völlig sich selbst überlässt. Wie sich Kya durchschlägt, wie sie in der Marschlandschaft North Carolinas in den 1950er Jahren von der Gesellschaft beinahe völlig isoliert zu einer jungen Frau heranwächst, erzählt einer der beiden Handlungsstränge. Der zweite Handlungsstrang beginnt 1969 mit einem Mordfall. Beide Erzählungen verbinden sich schließlich im Jahr 1970 in einem Gerichtsprozess.
Neben der spannend aufgebauten Handlung ist es die Vielschichtigkeit, mit welcher Kya dem Leser nahegebracht wird, und das in einer Sprache, die ich stellenweise beinahe poetisch empfunden habe. In einer anderen Rezension las ich das Wort „kitschig“ bei der Beschreibung des Sprachstils – dem kann ich gar nicht zustimmen. Meiner Meinung nach ist die Sprache Delia Owens den Empfindungen Kyas gegenüber ihrer geliebten Marschlandschaft absolut angemessen. Der Roman liest sich sehr flüssig – wenn man nicht gerade nach den Haftnotizzetteln greift, um die schönsten Stellen jederzeit wiederfinden zu können – was häufig der Fall war.
Hier einige Beispiele:
…Abertausende gelbe Platanenblätter rissen sich von ihrer Lebensader los und strömten über den Himmel. Herbstblätter fallen nicht, sie fliegen. Sie nehmen sich Zeit und genießen ihre einzige Chance, frei zu sein. Sie blitzten im Sonnenlicht, wirbelten und segelten und flatterten auf den Schwingen des Windes. (S. 159)
Später warf der Mond Hoffnung übers Wasser, aber auch die erstarb. (S. 180)
Als sie ablegte, wusste sie, dass niemand diese Sandbank je wieder betreten würde. Die Elemente hatten ein kurzes und veränderliches Lächeln aus Sand geformt, genau im richtigen Winkel… (S. 269)
Gesichter verändern sich durch den Tribut, den das Leben fordert, aber Augen bleiben ein Fenster zu dem, was war, und sie konnte ihn darin sehen. (S. 292)
Zu guter Letzt noch etwas, das die Freude, dieses Buch zu lesen, vervollkommnet hat:
Die Haptik! Das Papier ist so glatt und fühlt sich so wunderbar an, dass ich mich ständig dabei erwischte, wie ich die Seiten streichelte. Ein Hochgenuss.
Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung.
Habt einen glücklichen Tag!